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The Unicorn Project – Buchnotizen zum Roman über IT Projekte in Unternehmen

Selten habe ich in jüngster Zeit ein Buch gelesen, bei dem ich auf Grund meiner bisherigen beruflichen Laufbahn so mit den handelnden Personen mitfühlen konnte. In seinem Roman „The Unicorn Project“ beschreibt der Autor Gene Kim die typischen Herausforderungen von IT Projekten in großen Unternehmen, verpackt in einer unterhaltsamen Geschichte aus Sicht der erfahrenen Entwicklerin Maxine.

Als firmenpolitisches Bauernopfer wird Maxine gegen ihren Willen in das „Phoenix“ Team strafversetzt, ein IT Großprojekt, welches schon über Jahre läuft und weit hinter den Erwartungen zurückliegt (außer bei den Kosten). Doch anstatt sich den Umständen zu ergeben und in der allgemeinen Ineffizienz eine ruhige Kugel zu schieben, fängt sie an, die Prozesse zu hinterfragen und Ansatzpunkte für Verbesserungen zu suchen. Dabei geht es ihr nicht darum, Schuldige zu finden, sondern zunächst zu verstehen, warum die Kollegen in ihrer Rolle so handeln. Anstatt über anonyme Ticketing Systeme oder Fileshares versucht sie über den Aufbau persönlicher Kontakte die Silos aufzubrechen und so Vertrauen zu schaffen, um gemeinsam Probleme zu lösen.

Über die Aufstellung eines Fragenkatalogs gelingt es ihr, einige Leidensgenossen mit ähnlichen Ansichten zu finden und so wird sie in die inoffizielle (Geheim-)Gruppe der „IT-Rebellen“ aufgenommen. Hier sammeln sich erfahrene Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Bereichen (DEV, QA, OPS, SEC, Data, Analytics, Architects etc.), die nicht nur kritisieren, sondern sich austauschen und mit innovativen Ideen versuchen, den Missständen zu begegnen und für die Firma einen Mehrwert zu generieren. Beispiele sind Klassiker aus dem DevOps Bereich (u.a.), wie einheitliche Entwicklungsumgebungen, ein zentraler Build-Process, automatisierte Tests, Continuous Integration /Continuous Delivery (CI/CD) Pipelines, Nutzung von Cloud-Services, NoSQL Datenbanken, Migration von Legacy bis hin zur funktionalen Programmierung, von der Maxine ein großer Fan ist.  Doch scheitern viele Vorschläge an den Prozessen und Gremien, die sich die Firma selbst gegeben hat, um Veränderungen besser zu steuern und Wildwuchs zu vermeiden. In der Praxis lähmen diese organisatorischen Hürden doch alle, da kaum einer den bürokratischen Aufwand auf sich nehmen will und die Erfolgsaussichten auf eine Genehmigung ohnehin sehr gering sind.

Abendlicher Treffpunkt der Rebellen ist eine Bar, die passenderweise von einem älteren Ex-Kollegen betrieben wird, der zugleich als Mentor fungiert. Er gibt ihnen die folgenden fünf Ideale für die Softwareentwicklung an die Hand:

  1. Lokalität und Einfachheit: Abhängigkeiten (und damit Komplexität) müssen soweit als möglich reduziert werden und Fehler schnellstmöglich dort korrigiert werden, wo sie entstanden sind.
  2. Fokus, Flow und Spaß: Nur wer fokussiert und mit Freude an einer Sache arbeitet, ist langfristig produktiv. Fortschritt und der eigene Beitrag müssen erkennbar sein.
  3. Fortwährende Verbesserung des Tagesgeschäfts: Hinterfragen von Prozessen und Systemen, die uns behindern und nach Optimierungsmöglichkeiten suchen, anstatt sie blind zu befolgen bzw. sie als unveränderlich anzunehmen.
  4. Psychologische Sicherheit: Genauso wichtig wie körperliche Unversehrtheit, zählt insbesondere für die „Kopfarbeiter“ die mentale Sicherheit, d.h. Experimente und Fehlschläge sind Teil der Arbeit und führen nicht zu Schuldzuweisungen oder anderen persönlichen Nachteilen. Jeder sollte sich sicher fühlen, Dinge auszuprobieren, Probleme anzusprechen und Informationen zu teilen.
  5. Fokus auf den Kunden: Ziel und Zweck jeder Arbeit ist die Schaffung von Mehrwert für den Kunden und damit die Generierung von Umsatz, und nicht die Selbstverwaltung, die Selbstverwirklichung oder der Erhalt/Ausbau von persönlichen Einflussbereichen.

Besonders für den letzten Punkt geht Maxine direkt an die „Front“, d.h. sie schaut den Anwendern ihrer IT Systeme über die Schulter, hört sich ihre Sorgen und Wünsche an und überlegt, wie sie einfach und schnell helfen kann. Beispielsweise gibt es immer noch zu viele Systembrüche und Kundendaten müssen mühsam mehrfach manuell eingegeben werden.

Schließlich gelingt es den Rebellen, im Verbund mit frustrierten Kolleginnen aus dem Business bzw. Projektmanagement das „Unicorn-Projekt“ zu starten und damit ihr Können unter Beweis zu stellen. Basierend auf einer umfangreichen Datenanalyse können erstmalig in der Firmengeschichte zielgruppengerechte Werbeaktionen gefahren werden, was dem Unternehmen insbesondere am Black Friday Sale ein deutliches Umsatzplus beschert. Auch die neue App erfreut sich großer Beliebtheit und trägt zur Kundenbindung bei.

So setzt sich am Ende trotz einiger politischer Querelen auch auf höchster Entscheidungsebene die Erkenntnis durch, dass neben dem klassischen Geschäft („Value“) vor allem auch die innovativen Ideen und Ansätze („Growth“) essentiell für den wirtschaftlichen Fortbestand des Unternehmens sind. Im Buch wird dazu das 3-Horizonte Modell von McKinsey angeführt, sowie die Differenzierung nach Core vs. Context.

Um weitere innovative „Growth“ Projekte (Horizon 3) zu finden und zu fördern, veranstaltet Maxine — trotz einiger politischer Widerstände und Spielchen — einen firmeninternen Ideenwettbewerb. Beliebige Teams können Vorschläge für neue Projekte einreichen und dann, nach einer Vorauswahl, in einem kurzen Pitch präsentieren. Eine Jury, besetzt vorwiegend aus den Experten der IT Rebellen, bewertet die Ideen hinsichtlich Durchführbarkeit, Aufwand und potentiellem Geschäftswert. Die Gewinner werden vom CEO persönlich verkündet und aufgefordert, regelmäßig über ihre Fortschritte und Erfahrungen zu berichten. Schon nach relativ kurzer Zeit gelingt es dem Gewinnerteam mit ihrer Innovation einen nennenswerten Umsatz zu generieren, was auch verbliebene Zweifler der „Growth“-Strategie besänftigt. Zudem bestätigt sich an einem anderen Beispiel, dass bei Innovationen nicht notwendigerweise die kleinen gegen die großen Unternehmen gewinnen, sondern es primär auf die Umsetzungsgeschwindigkeit ankommt – und hier können die Großen ihre Ressourcenstärke ausspielen, sofern die Prozesse stimmen.

Wer wachsen will, muss alten Ballast ablegen (können). Diese Erkenntnis setzt sich schließlich auch im Management durch und so wird ein großes Migrationsprojekt bewilligt, bei dem Jahrzehnte alte Legacy Server außer Dienst gestellt werden. Bisher hat man immer versucht, sie irgendwie am Laufen zu halten, was einige z.T. nächtliche Rettungsaktionen erforderte. Für den großen Schritt fehlten bisher immer der Mut bzw. das Gefühl der Notwendigkeit, sobald alles wieder lief.

Innovative Firmen ziehen neue Talente an, und dies nicht nur durch innovative Produkte, sondern z.B. auch durch Open Source Projekte, die natürlich nicht wettbewerbskritisch sein sollten, aber helfen können, Standards in einer Branche zu setzen. Wer will nicht bei denen arbeiten, die die Standards setzen? Auch das kontinuierliche Lernen sind hier wichtige Elemente, und so etabliert Maxime im Sinne der „lernenden Organisation“ einen wöchentlichen Wissensaustausch von Kollegen für Kollegen. 

Zum Abschluss des Buches wird Maxime zum ersten Distinguished Engineer der Firmengeschichte befördert. Sie berichtet fortan direkt an den CIO und zeigt damit, dass eine Karriere auch außerhalb der klassischen Managementschiene möglich ist. Zu ihren Zielen gehört u.a. die Schaffung einer Kultur technischer Exzellenz über alle Abteilungen hinweg. Natürlich wird sie damit auch in Personalentscheidungen und –förderungen eingebunden sein, allerdings stets mit dem Fokus auf die Fachlichkeit. Wesentliche Aufgabe ist die Unterstützung der verschiedenen Projektteams mit technischem Wissen, Feedback zum Vorgehen und der Entwicklung von Leitlinien. Daneben wird ihre Expertise bei den Topmanagement Meetings gefragt und gehört.

Auch der Börse sind die Veränderungen in der Firma nicht verborgen geblieben, so dass der Marktwert heute mittlerweile 2,5 mal höher liegt als noch vor einem Jahr. Einige vormals kritische Investoren fragen nun nach, wie sie die digitale Transformation auf andere Firmen übertragen können.

P.S.: Das Vorgängerbuch „The Phoenix Project“ werde ich einem separaten Blogpost zusammenfassen.

Kategorien:Bücher
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