Push vs. Pull in der Informationsverteilung – eine Definitionsfrage?
Kürzlich bin ich durch einen Blogbeitrag wieder darüber gestolpert und mir wurde klar, dass es für dieses Begriffspaar wohl zwei grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen bzw. Begriffsverständnisse gibt.
Die erste mögliche Sichtweise betrachtet rein die Sicht des Empfängers. Bei einem Pull-Verfahren steht der Empfänger in der Hol-Schuld und muss folglich immer selbst aktiv nachschauen/-fragen, ob es etwas Neues gibt. Beispiel wäre ein Schaukasten an der Uni oder das Warten auf eine bestimmte Anzeige in einer (offline) Zeitung. Bei einem Push-Verfahren hingegen wird der Empfänger automatisch über einen definierten Eingangskanal über Neuerungen informiert. Beispiel ist der laufende Emailclient, SMS im Handy und eben auch abonnierte RSS-Feeds (vgl. Beitrag „RSS is push“). Das gleiche Verständnis steckt auch hinter dem als Innovation gefeierten „Email-Push“ beim Blackberry. In dieser Sichtweise ist der Empfänger natürlich geneigt, soweit wie möglich Push-Verfahren einzusetzen, gemäß dem Motto: „Schließlich baue ich mir ja auch eine Klingel an die Tür, um nicht dauernd nachschauen zu müssen, ob jemand davor steht“.
Daneben gibt es jedoch noch eine zweite, wohl eher kommunikationstheoretisch geprägte Sichtweise. Sie war mir erstmals durch das wegweisende (und nicht nur für Militärs interessante) Buch „Power to the Edge“ aus dem Jahr 2003 aufgefallen und bildet ehrlich gesagt nach wie vor meine bevorzugte Variante. In diesem Begriffverständnis steht die Beziehung zwischen Sender und Empfänger im Zentrum der Betrachtung. In einem Push-Verfahren liegt die Verantwortung vollständig beim Sender, d.h. der Sender wählt bewusst konkrete Empfänger aus, an die er seine Informationen direkt adressiert, d.h. pusht. Beispiele hierfür sind Emails an Einzelne oder über Verteiler, SMS oder Telefon. Ein Pull-Verfahren zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass der Sender Informationen ohne konkrete Empfänger an geeigneter, d.h. auffindbarer Stelle bereitstellt, und diese dann von den Empfängern nach individueller Auswahl „gezogen“ werden (können). Beispiele hierfür sind Foren, Blogs, Wikis und natürlich auch Microbloggingdienste wie Twitter, letzteres meines Erachtens ein Paradebeispiel für eine Pull-Kommunikationsinfrastruktur. Auch RSS ist somit nicht mehr als ein automatisierter Pull, schließlich stellt sich jeder selber seine Feeds zusammen und verwaltet diese.
Nach dieser zweiten Sichtweise stehen die traditionellen Verfahren eher auf der Push-Seite und die „neuen, web2nulligen“ Werkzeuge alle auf der Pull-Seite. Pull-Verfahren entkoppeln Sender und Empfänger und senken auf der Senderseite damit auch die Hemmungen, Informationen zu teilen. Auf der Empfängerseite führt dies einerseits natürlich zu mehr Flexibilität, verschiebt aber gleichzeitig auch einen erheblichen Teil der Verantwortung dorthin. Für einen einfachen Indikator für die „Enterprise 2.0“-Fähigkeit eines Unternehmens lohnt damit schon ein Blick auf das primär verwendete Verfahren zur Informationsverteilung (und auch wie primär konsumiert wird).
Jedes der Verfahren hat seine Berechtigung und keinesfalls wird zukünftig nur noch im Pull-Verfahren kommuniziert. Nicht zuletzt im Sinne der Reduzierung der beliebten Verteileremails könnte eine mögliche Devise lauten: „Push wann immer nötig und Pull wann immer möglich“. Die Kunst ist zweifelsohne, seitens des Senders situations- bzw. informationsabhängig zu wählen. Dies ist insbesondere eine Herausforderung, da die Ansprüche an die persönliche Informationsversorgung durchaus differieren, speziell in einem Unternehmen. Und damit sind wir auch mal wieder bei der Kultur… Der Königsweg liegt wahrscheinlich darin, mehrere mögliche Wege anzubieten (vgl. früherer Beitrag) und vor allem auch auf Empfängerseite mehr Auswahl zu schaffen.
Nachdem die Begriffe Push/Pull bei einigen als zu technisch empfunden werden, verwende ich zunehmend die Unterscheidung „geschlossener“ vs. „offener Personenkreis“ oder aber „personenorientierte“ vs. „inhaltsorientierte Kommunikation“, wie z.B. auch im Beitrag „E2.0 kompakt“ verwendet.
A.McAfee verwendet in seinem Buch das Begriffspaar „Channel“ vs. „Platform“ und unterstreicht damit die Geschlossenheit vs. Offenheit der beiden Paradigmen.
Heute erscheint zum Thema das Buch „The Power of Pull: How Small Moves, Smartly Made, Can Set Big Things in Motion.“: http://blogs.hbr.org/bigshift/2010/04/a-brief-history-of-the-power-o.html
Wir haben doch damals über Smart Pull vs. Dumb Push diskutiert, eine Erwähnung davon hätte ich hier eigentlich erwartet 😉
Schön, Dich auch zu den Lesern meines Blogs zählen zu dürfen und danke für den Hinweis. Ja, lang ist’s her und immer noch genauso richtig wie damals. Nur so wertend wollte ich es hier nicht schreiben 😉
Pull und Push sind bis heute in Diskussion. Eine kürzlich durchgeführte Studie belegt den Vorteil von Pull in Communities of Practice, insbesondere bei großer Mitgliederzahl. http://www.nickmilton.com/2015/05/pull-or-push-in-cops-which-works-better.html